Mythos #37: Das Internet existiert nur in den Clouds.
Daniel Voelsen

Mythos: Das Internet befreit uns von den Fesseln des physischen Raumes. Unsere Daten befinden sich in der „Cloud“, auf die wir von überall und jederzeit, oft über drahtlose mobile Geräte, zugreifen können. Unsere Kommunikation geht damit über die alte im Westfälischen Frieden festgelegte Ordnung territorial definierter Staaten hinaus.

 

Stimmt’s? Das Internet ist auf eine enorme physische Infrastruktur angewiesen: Über 90 Prozent des gesamten weltweiten Internet-Traffics laufen heute über Seekabel. Die vielen täglich von uns genutzten Onlinedienste einschließlich der verschiedenen „Cloud“-Dienste erfordern riesige Rechenzentren. Und unsere Smartphones sind ohne ein dichtes Netz von Mobilfunkinfrastrukturen, die sie mit dem globalen Internet verbinden, wenig wert.

Diese Infrastruktur ist größtenteils im Besitz privater Unternehmen und wird von diesen betrieben. So ist es nicht verwunderlich, dass die Entwicklung des Internets in ganz erheblichem Maß von wirtschaftlichen Überlegungen geprägt ist. Insbesondere private Unternehmen investieren verstärkt in Bereiche, die höhere Renditen versprechen: In vielen Staaten sind Städte daher oft besser vernetzt als ländliche Gebiete, und wirtschaftlich prosperierende Staaten verfügen über mehr und stärkere Verbindungen zum globalen Netz als Entwicklungsländer (# 39).

Darüber hinaus bindet die physische Infrastruktur des Internets dieses in einem sehr fundamentalen Sinn an die im Westfälischen Frieden festgelegte Weltordnung territorial definierter Staaten. Sämtliche Kabelverbindungen, Wireless-Stations-Router, Internet Exchange Points (IXPs), Rechenzentren und Server haben einen physischen Standort und unterliegen somit der Jurisdiktion der jeweiligen Staaten. Die einzige Ausnahme bilden die auf hoher See verlaufenden Teile der Seekabel und die Satelliten im Weltraum.

Immer mehr Staaten streben die Kontrolle über die physische Infrastruktur des Internets als Mittel einer effektiveren Kontrolle über das an, was sie als „ihre“ Teile des Internets wahrnehmen. Eine der rigidesten Vorgehensweisen besteht darin, Telekommunikationsunternehmen zur Beschränkung oder sogar vollständigen Sperrung des Internetzugangs zu zwingen, um den Informationsaustausch zwischen Bürger*innen zu unterdrücken. Eine Reihe von Staaten versucht auf subtilere Weise zu kontrollieren, welche Informationen in ihr Territorium gelangen oder es verlassen. Zu diesem Zweck schränken sie beispielsweise die Knoten, die inländische Internetnutzer*innen mit dem globalen Web verbinden, ein und wenden dann diverse Filtermechanismen an, um unerwünschte Informationen zu sperren. Gesetze zur „Datenlokalisierung“ sind ein weiteres Mittel, mit dem Staaten ihre Kontrolle über physische Infrastrukturen zu stärken versuchen. Dem liegt die Idee zugrunde, den Zugang zum Markt eines Staates von der Speicherung der Daten von Kunden auf dem Territorium des jeweiligen Staates abhängig zu machen.

 

Stimmt also nicht! Das Internet ist auf eine komplexe globale Infrastruktur angewiesen. Neben der logischen Ebene von Softwarestandards und Protokollen umfasst diese Infrastruktur auch physische Komponenten wie beispielsweise Seekabel und Rechenzentren. Diese physische Ebene verbindet das Internet zwangsläufig mit der Welt der Territorialstaaten und verdient daher mehr Aufmerksamkeit.

 


Quelle: Tara M. Davenport, Submarine Cables, Cybersecurity and International Law: An Intersectional Analysis, Catholic University Journal of Law and Technology 24 (2015), https://scholarship.law.edu/jlt/vol24/iss1/4; Laura DeNardis, Hidden Levers of Internet Control. An Infrastructure-Based Theory of Internet Governance, Information, Communication & Society 15 (2012) 5, 720‑738, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/1369118X.2012.659199.