Mythos #18: Das Internet fördert Emanzipation und beendet jede Form der Diskriminierung.
Katharina Mosene

Mythos: Das Internet und die Informations‑ und Kommunikationstechnologien sind neutrale Instrumente, die öffentliche Räume schaffen, die eine einfache und effektive Beteiligung für alle ermöglichen und sogenannte Minderheitenfragen in einen größeren gesellschaftlichen Diskurs einbinden, wodurch Integration gefördert und Machtunterschiede überwunden werden, mit denen traditionelle und lineare Medien zu kämpfen haben.

 

Stimmt’s? Das Ende von Sexismus, Rassismus und Diskriminierung? Lange Zeit galt das Internet als das emanzipatorischste Instrument zur Überwindung aller Arten von Ausgrenzung (# 28, # 42). Auch wenn das Internet für viele marginalisierte soziale Gruppen der Gesellschaft (#metoo, #metwo, #schauhin, #ThingsDisabledPeopleKnow) Raum für kommunikative Selbstverwirklichung bietet, sind diese Gruppen auch in der digitalen Welt nach wie vor in besonderem Maß von Diskriminierung betroffen. Digitale Gewalt, anhaltende Ausgrenzung und Hate Speech sind immer noch im Netz präsent. Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung, Trans‑ und Homophobie sind die Hauptthemen von Hate Speech. Darüber hinaus erhöht die Zugehörigkeit zu mehr als einer Minderheit, die zudem auch im Netz angefeindet wird, die Gefahr, Opfer digitaler Gewalt zu werden. Amnesty International bestätigte 2018, dass „Frauen mit dunkler Hautfarbe, Frauen religiöser oder ethnischer Minderheiten, lesbische, bisexuelle, transsexuelle oder intersexuelle (LBTI) Frauen, Frauen mit Behinderungen oder nichtbinäre Personen, die den traditionellen Geschlechternormen von Männern und Frauen nicht entsprechen, oft Formen von Missbrauch ausgesetzt sind, der sie auf einzigartige oder besondere Weise betrifft“. Das ist gefährlich. Wenn sozial diskriminierte Gruppen in der digitalen Welt zusätzliche Gewalt erleben und sich daher zurückziehen, hat dies nachteilige Folgen für die Rationalität des technologisch vermittelten gesellschaftspolitischen Diskurses.

Die Diskriminierung im digitalen Raum beschränkt sich jedoch nicht nur auf Formen digitaler Gewalt. Vielmehr fungiert das Internet in vielfacher Hinsicht als Spiegel der Gesellschaft und ermöglicht alle Formen von Diskriminierung auf so vielfältige Weise wie die Gesellschaft selbst. Technologie ist niemals neutral. Stereotypen von Diskriminierung werden in Code umgesetzt und durch Verwendung verzerrter Trainingsdaten auf Deep-Learning-Mechanismen übertragen. Die Normalisierung und Standardisierung des menschlichen Körpers und Lebensstils ist implizit in den Code eingeschrieben. Es ist allgemein bekannt, dass biometrische Gesichtserkennung nicht in der Lage ist, Menschen mit dunkler Hautfarbe zu erkennen, da sie sich in der Regel ausschließlich auf Trainingsdatensätze weißer Menschen stützt. Ähnlich verhält es sich bei KI-Trainingsdatensätzen für autonome Fahrzeuge, die keine Trainingsdaten von nicht „der Norm“ entsprechenden Menschen wie beispielsweise Rollstuhlfahrern enthalten.

Keine der Technologien, die Digitales erschaffen, organisieren und erweitern, sind neutral oder unvoreingenommen, sondern vielmehr soziale Konstruktionen, die immer an bestehende Macht‑, Herrschafts‑ und Diskriminierungsbedingungen gebunden sind. Dabei knüpfen sie nachweislich an koloniale Praktiken an, bei denen die Erhebung sozialer Daten bereits den Aufbau einer patriarchalischen Machtstruktur unterstützt. Die digitale Technologie macht uns keineswegs zu einer Gemeinschaft von Gleichen. Neben einigen positiven Beispielen, darunter die Stärkung von Hashtag-Bewegungen und Möglichkeiten für schnelle und globale Mobilisierungs‑ und Aufklärungskampagnen, stärkt das Internet allerdings eher bestehende Macht‑ und Ausgrenzungssysteme, sodass die digitale Innovation immer wieder kritisch hinterfragt werden muss.

 

Stimmt also nicht! Das Internet ist keine neutrale Plattform für globale Förderung von Teilhabe. Vielmehr spiegeln die Informations‑ und Kommunikationstechnologien soziale Macht‑ und Herrschaftsstrukturen in unserer Gesellschaft wider und sind voller Diskriminierungs‑ und Ausgrenzungssysteme. Ohne Kontrolle dieser Technologien werden gefährdete Gruppen zusätzlich auch online marginalisiert und Vorurteile und diskriminierende Praktiken werden digitalisiert und verschärft.

 


Quelle: Nicole Shephard: What is sexual surveillance and why does it matter?, genderit.org (2017), https://www.genderit.org/feminist-talk/what-sexual-surveillance-and-why-does-it-matter; Rachel E. Dubrofsky, Shoshana Amielle Magnet, Feminist Surveillance Studies (Durham: Duke University Press, 2015).