Mythos #38: Das Domain Name System garantiert ein globales Internet.
Robin Tim Weis

Mythos: Das Internet wurde als universelles und globales Netzwerk konzipiert. Das Domain Name System als Telefonbuch des Internets und die ihm zugrunde liegenden Root-Server stellten sicher, dass jeder jede gewünschte Website erreichen konnte, wann immer er dies wünschte. Diese eingebaute dezentrale Resilienz ist für die Ewigkeit.

 

Stimmt’s? Die TCP/IP-Infrastruktur ist Wunschdenken aus der Vergangenheit, da die Länder immer neue Konfigurationen einführen, um das DNS mithilfe neuartiger Verfahren zu umgehen. In der Realität wird das Internet immer wieder kopiert und in nationale Inhaltssilos eingefügt. Die jüngste Demontage des globalen DNS findet derzeit in Russland statt. In ihren jüngsten Bemühungen versucht die russische Regierung aktiv, die derzeitige DNS-Konfiguration zu replizieren, indem sie ein „System von Backup-DNS-Root-Name-Servern schafft, die von der Kontrolle durch ICANN, IANA und VeriSign unabhängig sind“, so der Wortlaut des kürzlich verabschiedeten Gesetzentwurfs „Souveränes Internet“. Saudi-Arabien hat diese „souveränen“ Bemühungen übernommen und das DNS ganz unmittelbar eingeschränkt, indem DNS-Request-Traffic stattdessen über saudische, staatlich kontrollierte Proxy-Dienste geleitet wird. Diese jüngste Nationalisierung des Internets steht im Widerspruch zu den frühen internationalen Bemühungen von Organisationen wie beispielsweise dem CSNET oder dem 1983 mit dem Ziel gegründeten Internet Architecture Board (IAB), die Entwicklung der TCP/IP-Protokollsuite zu steuern und die wachsende Internet-Community mit Forschungsergebnissen zu beraten.

Seinem Gründungsanspruch entsprechend, waren die Protokolle des Internets offen verfügbar, und da es sich um ein Netzwerk miteinander verbundener Netzwerke handelt, ist es problemlos möglich, ein anderes neues Netzwerk miteinander verbundener Netzwerke zu erstellen. Autoritäre Nationalstaaten wollen sich anscheinend von allem befreien, was manche von ihnen als „westliches“ DNS betrachten und bezeichnen, indem diese Staaten für die Mehrheit ihrer Internetnutzer*innen eine vollkommen alternative Realität schaffen. Für die Internetnutzer*innen von morgen könnten ganze Länder aus dem Internet verschwinden, wenn einige Regierungen beschließen, nationale Domains von ihren eigenen nationalen Root-Servern auszuschließen. Das „Splinternet“ ist geboren.

 

Stimmt also nicht! Auch wenn die Infrastruktur des Internets global konzipiert ist, sehen wir uns am Beginn eines Zeitalters vieler nationaler, fragmentierter Internets. Auf der ganzen Welt können es Regierungen nicht abwarten, mit ihrem „Splinternet“ online zu gehen. Die Nutzer*innen können nicht davon ausgehen, stets alle Websites erreichen zu können. Die offene Natur des DNS wird auch jetzt, in diesem Augenblick, untergraben.

 


Quelle: William Lehr et al., Whither the Public Internet?, Journal of Information Policy, 9 (2019), 1‑42, https://doi.org/10.5325/jinfopoli.9.2019.0001; Charlotte Jee, „Russia Wants to Cut Itself off from the Global Internet. Here’s What That Really Means.,“ MIT Technology Review, 21. März 2019, https://www.technologyreview.com/s/613138/russia-wants-to-cut-itself-off-from-the-global-internet-heres-what-that-really-means.