Mythos #44: Die Zukunft der Künstlichen Intelligenz liegt in den Händen von Unternehmen.
Philippe Lorenz und Kate Saslow

Mythos: Nationale Regierungen sind nicht in der Lage, ihre eigene Innovationsgrundlagen im Bereich „Künstliche Intelligenz“ zu stärken. Private Unternehmen kaufen nationale KI-Ressourcen auf. Staaten sind nicht in der Lage, mittel‑ bis langfristige Strategien für starke nationale KI-Ansätze zu entwickeln, da die politischen Entscheidungsträger nicht wirklich verstehen, was KI tatsächlich ist oder bedeutet.

 

Stimmt’s? Die KI-Technologie unterscheidet sich von früheren innovativen Technologien, weil heute Unternehmen des privaten Sektors die Innovationsmotoren von KI-Technologien sind. Staaten können jedoch immer noch die Schaffung von KI-Ökosystemen beeinflussen, in denen diese innovativen Unternehmen prosperieren. Hierfür müssen Unternehmen und Universitäten mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden, um modernste KI-Technologien zu entwickeln. Privatwirtschaftlichen und staatlichen Akteuren kommen hierbei allerdings unterschiedliche Rollen zu.

KI ist keine Zauberei: Die für die Schaffung von Machine-Learning-Technologien (ML) erforderlichen Inputs sind Daten, Software, Hardware und Mitarbeiter*innen (# 43). Wenn ML als Kombination dieser Inputs verstanden wird, können auch politische Entscheidungsträger*innen deren wirtschaftliche Relevanz sowie die Bedeutung der Produzent*innen und Anwender*innen dieser Technologie erfassen. Allerdings ist der derzeitige politische Diskurs um die KI noch inkonsistent und vage. Ein profunderes Verständnis von KI ist dringend erforderlich. Dies würde zu einer informierteren Diskussion in der außenpolitischen Community führen und so die Grundlage für eine bessere Beobachtung globaler Trends schaffen, was sich wiederum auf innenpolitische Entscheidungen auswirken kann.

Im Bereich der KI sind Unternehmen unverzichtbar, da ML-Innovationen in überproportionalem Umfang privatwirtschaftlichen Unternehmen zuzurechnen sind. Unternehmen, die sich in ihrer Forschungs‑ und Entwicklungstätigkeit auf die Entwicklung spezifischer ML-Kernprodukte konzentrieren und ihre Erlöse mit ML-basierten Anwendungen erzielen, sind die wahren „KI-Unternehmen“ und treiben die Entwicklung und Einführung von KI-Technologien voran.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass Staaten keine Aufgabe haben. Den Angehörigen des auswärtigen Dienstes kommt dank ihres regionalen Know-hows eine maßgebliche Rolle dabei zu, politische und wirtschaftliche Fakten zu sammeln und zu analysieren und diese Informationen an ihre Regierungen weiterzuleiten. Das Tempo der Entwicklung und Einführung von KI ist hoch, ihre wirtschaftliche Bedeutung erheblich. Die Ressourcen zur aktiven Beobachtung globaler Entwicklungen sind derzeit jedoch begrenzt. Allerdings beginnen politische Entscheidungsträger überall auf der Welt, die Bedeutung von KI zu verstehen und sich in die Diskussion einzubringen, was seinen Ausdruck in zahlreichen internationalen Initiativen und Foren zu KI-Governance findet.

Diesen Foren und Initiativen fehlt es jedoch in der Regel an echter Macht, und die Regierungen haben noch keine gemeinsame Sprache, um die globalen Entwicklungen im Bereich der KI zu diskutieren und zu überwachen. Durch die Nutzung des Netzwerks internationaler Botschaften und der Stärke auswärtiger Dienste für Informationsbeschaffung und ‑analyse können diese ihren Regierungen bei der Gestaltung der Außen‑ und Innenpolitik rund um das Thema KI wirksame Unterstützung bieten. Dies kann dazu beitragen, das Bewusstsein und die Leistungsfähigkeit bezüglich einer umfassenderen und effektiveren Politik für KI-Governance zu verbessern. Staaten spielen daher eine wichtige Rolle, indem sie Umfeld für KI-Innovationen schaffen und strategische Entwicklungen bei der Innovation von KI weltweit im Auge behalten.

 

Stimmt also nicht! Die Staaten spielen nach wie vor eine wesentliche Rolle bei der Regulierung von KI-Entwicklungen, müssen jedoch proaktiv handeln, um sinnvoll politische Gestaltungsräume nutzen zu können. Die Politik wiederum muss umfassend Daten sammeln und den Regierungen eine klare Perspektive bieten, wie sie die strategische Entwicklung von KI-Ökosystemen verteidigen und verbessern können.

 


Quelle: Philippe Lorenz und Kate Saslow, Demystifying AI & AI Companies. What foreign policy makers need to know about the global AI industry (Juli 2019), Stiftung Neue Verantwortung, https://www.stiftung-nv.de/sites/default/files/demystifying_ai_and_ai_companies.pdf.