Mythos #17: Das Darknet ist ein verborgener Ort des Bösen.
Suzette Leal

Mythos: Das Darknet ist ein weitläufiges, undurchdringliches, unsichtbares, moralfreies Fantasialand für die sexuelle Ausbeutung von Kindern, terroristische Organisationen, Datendiebstahl und Drogengeschäfte in Kryptowährungen. Es ist auch der Kern der Cyberbedrohungsindustrie, ein Ort, an dem Hacking-Tools gehandelt werden, um Unternehmen oder Einzelpersonen anzugreifen. Im Grunde ist es die Quelle allen digitalen Übels.

 

Stimmt’s? Auch wenn das Darknet größere Anonymität und Zensurfreiheit bietet, ist es nicht die Onlineunterwelt, in der Schwerkriminelle straflos bleiben (# 14). Zum einen ist das Darknet keineswegs undurchdringlich und es ist auch nicht unmöglich, anstößige Inhalte zu entfernen. Zwar stellt sich die Überwachung von Inhalten im Darknet schwieriger dar, jedoch bedeutet der für die Funktionsfähigkeit eines Netzwerks erforderliche Vertrauensfaktor, dass Straftäter*innen und illegale Inhalte im Darknet durchaus auch identifiziert werden können. In dieser Hinsicht ist ein großer Teil des Darknets sichtbar und relativ einfach über Foren und Wikis zu erreichen. Das Darknet ist zum anderen auch nicht der ausgedehnte Eisberg, als der es dargestellt wird, dieser gewaltige unter der Oberfläche verborgene Teil fragwürdigen Onlineverhaltens, auf den die meisten Aktivitäten im Internet entfallen. Tatsächlich sind die Aktivitäten im Darknet im Vergleich zum sichtbaren Traffic minimal.

Das vielleicht bedeutendste Missverständnis über das Darknet ist der verbreitete Glaube, dass es von Natur aus gefährlich und kriminalitätsfördernd ist. Auf Terrorismus und die sexuelle Ausbeutung von Kindern entfällt tasächlich nur ein sehr geringer Teil der Aktivitäten im Darknet. Auch wenn unbestritten ist, dass das Darknet einen Raum für Straftaten wie Menschenhandel, Betrug und Drogenhandel ist, sollte man die Rolle des normalen Internets bei diesen Aktivitäten ebenfalls nicht unterschätzen. Wenn moralische Panikmache dazu führt, dass die Macht und das Mysterium des Darknets überschätzt oder sogar überhöht werden, kann dies zu schlecht beratenem politischen Handeln führen, d. h. zu einer Politik, die gesetzwidriges Handeln an offensichtlicher Stelle übersieht.

In Wahrheit besteht gut die Hälfte des Darknets aus legalen Aktivitäten, darunter Software-Repositories und Blogs und/oder Websites mit Bezug zu spezifischen Themen. Eine beträchtliche Anzahl von Darknet-Nutzer*innen ist auf Anonymität, Privatsphäre und Schutz angewiesen. In Ländern, die die Internetnutzung einschränken, überwachen und kontrollieren, nutzen marginalisierte Gruppen wie beispielsweise die LGBT-Community das Darknet oftmals, um zu kommunizieren, Ideen auszutauschen und Meinungen zu äußern. Journalist*innnen nutzen das Darknet zum Schutz ihrer Quellen, und Medienunternehmen hosten sichere Schließfächer im Darknet, um Informant*innen Sicherheit und Anonymität zu garantieren. So ist das Argument der Meinungsfreiheit tatsächlich vielfach der Hauptgrund für die Nutzung des Darknets durch verantwortungsbewusste Nutzer*innen, die sich der Auswirkungen ihrer Handlungen bewusst sind und keine Absicht haben, anderen zu schaden oder andere zu verletzen.

Im Grunde schafft Unsichtbarkeit nicht notwendigerweise oder automatisch abweichendes oder Fehlverhalten. Das Darknet bietet Anonymität, die sowohl für Gutes als leider auch für Böses genutzt werden kann. Ungeachtet dessen darf nicht hingenommen werden, dass die „Moral im Schatten“ zum Narrativ des Darknets wird.

 

Stimmt also nicht! Das Darknet ist ein Ort für Aktivitäten, die nicht über Standardsuchmaschinen gefunden oder indiziert werden können. Auch wenn die mit dem Darknet einhergehende Anonymität und Freiheit Straftaten erleichtern mag, ist das Darknet dennoch nicht der Inbegriff für verdecktes, per se verdächtiges und zwingend rechtswidriges Verhalten. Ein erheblicher Teil der Aktivitäten im Darknet stellt die nur schwer zu überwachende Kommunikation zwischen bedrohten Nutzer*innen dar.

 


Quelle: Mihnea Mirea, Victoria Wang und Jeyong Jung, The Not So Dark Side of the Darknet: A Qualitative Study. Security Journal, 32(2) (2018), 102‑118; Georgia Avarikioti, Roman Brunner, Aggelos Kiayias, Roger Wattenhofer und Dionysis Zindros, Structure and Content of the Visible Darknet, ArXiv (2018), 1811.01348(2)1‑27.