Mythos #15: Das Internet wurde vom Pentagon erfunden und so konzipiert, dass es einen Atomangriff übersteht.
Ian Peter

Mythos: Vor allem von den frühen Beiträgen des Klatschkolumnisten Robert Cringely in den frühen 1990er Jahren inspiriert, entstand der weit verbreitete Glaube, dass das Internet 1969 im Pentagon erfunden wurde und so konzipiert war, dass es einen Atomangriff übersteht. Tatsächlich ist diese Annahme so weit verbreitet, dass man sie auch die „Urknalltheorie des Internet-Ursprungs“ nennen könnte.

 

Stimmt’s? Es überrascht nicht, dass die Überzeugung  entstand, dass im Kontext des Kalten Krieges ein Projekt der Defence Advanced Research Projects Agency (DARPA) militärischen Zwecken diente. Dies war bei ARPAnet allerdings nicht der Fall, das im Wesentlichen lediglich mit dem Ziel gegründet wurde, (militärische oder andere) Großrechner miteinander kommunizieren zu lassen. Man wollte einen Weg finden, wie Daten zwischen verschiedenen Systemen ausgetauscht werden können.

Das Wissen über ARPAnet stammt von Bob Taylor, der für das Projekt von seiner Gründung 1966 bis Ende 1969 verantwortlich war. Ein Zitat aus seiner Korrespondenz: „Im Februar 1966 habe ich das ARPAnet-Projekt auf den Weg gebracht. Ich war von Ende 1965 bis Ende 1969 Leiter des Information Processing Techniques Office (IPTO) der ARPA. An der Entscheidung zur Einführung des ARPAnet waren lediglich zwei Personen beteiligt: Charles Herzfeld als mein Chef und Leiter der ARPA und ich selbst. Die Schaffung des ARPAnet war nicht militärisch motiviert. Das ARPAnet sollte Menschen mit gemeinsamen Interessen in die Lage versetzen, sich miteinander durch interaktives Computing zu verbinden, auch wenn sie sich an weit voneinander entfernten Orten befanden.“

Auch in diversen mit anderen am ARPAnet-Projekt Beteiligten ausgetauschten E‑Mails wurde diese Tatsache nicht bestritten oder angefochten. ARPAnet hatte mithin nichts mit einem Atomkrieg zu tun (außer vielleicht insoweit, als verbesserte Computerkapazitäten auch militärische Fähigkeiten verbessern). ARPAnet sollte lediglich ein zu der Zeit allgegenwärtiges Problem lösen, nämlich Computer mit unterschiedlichen Betriebssystemen zur Kommunikation miteinander zu befähigen. Ähnliche Forschungen wurden auch in Frankreich (Louis Pouzin und das Projekt „Cyclades“) und Großbritannien (Donald Davies, National Physics Laboratory) vorangetrieben. Ergebnis dieser Arbeiten war das Konzept der Paketvermittlung, das auch ARPAnet zu einem späteren Zeitpunkt als Möglichkeit der Datenübertragung zwischen Computern übernahm.

1973 erfolgte eine weitere wichtige Ergänzung dieser Arbeit mit der Einführung des von Vint Cerf und Bob Kahn entwickelten Transportprotokolls TCP/IP. Weitere wichtige frühe Arbeiten wurden von John Schoch und Robert Metcalfe in den Xerox Parc Laboratories durchgeführt. All diese Entwicklungen schufen in ihrer Gesamtheit die frühen technischen Grundlagen des Internets. Die Bedeutung dieser verwandten Entwicklungen und die Frage, welche dieser Entwicklungen gegebenenfalls als primärer Ursprung des Internets angesehen werden können, werden von Fachleuten unterschiedlich bewertet.

 

Stimmt also nicht! Welche Rolle man ARPAnet auch immer hinsichtlich des Ursprungs des Internets zuweist, bleibt es eine Tatsache, dass die Entwicklung des frühen Internets nicht auf der Furcht vor einem Atomkrieg beruhte, sondern der Notwendigkeit technischer Protokolle für die Kommunikation zwischen Computern (und ihren Nutzer*innen) entstammt. ARPAnet war in erster Linie eine frühe wissenschaftliche Leistung auf dem Gebiet der Informatik und nicht ein Erfolg des Militärs.

 


Quelle: Robert Taylor et al. (veröffentlicht von Dave Farber), Dave Farber’s Interesting People Mailing List (Archiv, Oktober 2004), https://seclists.org/interesting-people/2004/Oct/index.html; Ian Peter, Internet History Site, https://www.nethistory.info.