Mythos #28: Das Internet fördert die Demokratie, so beispielsweise während des „Arabischen Frühlings“.
Laeed Zaghlami

Mythos: Soziale Medien geben marginalisierten und unterdrückten Menschen gleichermaßen eine Plattform. Das Internet und soziale Medien sind weiche Machtmittel und können auf politische Regime Druck ausüben, sich von autoritären zu demokratischen und pluralistischen Gesellschaften zu entwickeln. Soziale und Protestbewegungen wie der Arabische Frühling werden durch das Internet erst ermöglicht und werden überall dort stattfinden, wo das Internet eine bestimmte Reichweite erreicht hat.

 

Stimmt’s? Ja, das Internet und die sozialen Medien spielten eine besondere Rolle bei der Schaffung von Aufmerksamkeit und der Organisation von Protesten in allen Ländern, in denen die sogenannten Revolutionen des „Arabischen Frühlings“ stattfanden. Allerdings zeigen diverse Studien, dass weder junge, internetaffine liberale Kräfte Triebfeder dieser Bewegung waren, noch, dass Regimewechsel zu neu demokratisierten Nationalstaaten geführt haben. Der „Arabischen Frühling“  an sich scheint bereits ein eher umstrittener und zweideutiger Begriff zu sein, hat er doch Ägypten, Libyen, den Sudan und Tunesien nach der Euphorie der ersten Jahre in einen Zustand von Aufruhr, Unordnung und Terror versetzt. Darüber hinaus hat die Bewegung in keinem der Länder der Region zu nennenswerten Fortschritten hinsichtlich demokratischer Normen, Werte und Praktiken geführt.

So ist Algerien ein Beispiel für eines der Länder, die die demokratischen Möglichkeiten hätten nutzen können, um mehr soziale Gerechtigkeit und Pressefreiheit zu verwirklichen, aber ungeachtet dessen kämpfen die Bürger*innen des Landes nach wie um Meinungsfreiheit und die Umsetzung demokratischer Ideale. Substanzielle Veränderungen haben sich in Algerien nicht als direkte Folge der Nutzung des Internets und sozialer Medien erwiesen; diese waren vielmehr lediglich Werkzeuge für Information, Interaktion und Kommunikation. In der Tat ist das Streben nach politischem Pluralismus, sozialer Gerechtigkeit und Pressefreiheit tief in der Gesellschaft verwurzelt und wurde bereits in den 1980er Jahren, also noch vor dem Aufkommen des Internets, laut. Instrumente zur Onlinekommunikation sind mithin Faktoren der Verbreitung von Nachrichten und Meinungen. Ungeachtet der Tatsache, dass Algerien gemeinsame kulturelle und soziale Werte und Identitäten mit weiteren Ländern teilt, in denen die Bewegungen des Arabischen Frühlings stark waren, fand die „Internetrevolution“ nicht statt. Wie jedes Land verfügt auch Algerien über sein eigenes politisches Modell und eine eigene und einzigartige Mentalität.

Generalisierungen sind (fast) immer irreführend; das Internet und soziale Medien haben letztendlich nicht zu einer nachhaltigen Verwirklichung der Ziele des Arabischen Frühlings beigetragen. Letztlich sind übermäßige Personenzentrierung und narzisstische Machtausübung, ein schwaches Parlament, verletzliche politische Parteien und die Rolle der Regierung erhebliche Hindernisse für einen politischen Wandel zum Besseren. Darüber hinaus klammert sich die politische Kaste an ihre Macht und nutzt ihrerseits das Internet und soziale Medien, um mithilfe „electronic flies“ (staatlicher Trollarmeen) Gegenrevolutionen zu betreiben. Missbrauch, Fake News und Verzerrung der Wahrheit lassen die Nutzer*innen nun an der Effizienz und Zuverlässigkeit des Internets und der sozialen Medien im Allgemeinen zweifeln. Es scheint, als stifte eine „verborgene und unsichtbare Hand“ nach wie vor Verwirrung und Unklarheit.

 

Stimmt also nicht! Die Bewegung des „Arabischen Frühlings“, sollte es diese jemals jenseits des westlichen Narrativs mit dieser Bezeichnung gegeben haben, hat weder zu neu demokratisierten Gesellschaften und Staaten geführt noch haben die Umbrüche ihren Ursprung im Internet oder in sozialen Medien. Internetzugang und soziale Medien als Plattformen für Aufklärung und Organisation bieten Raum zur Entfaltung von Kontextfaktoren für soziale Unruhen, die sich aus tief verwurzelten Wünschen nach (politischem) Wandel speisen.

 


Quelle: Kamal Eldin Osman Salih, The Roots and Causes of the 2011 Arab Uprisings, 35 Arab Studies Quarterly 35 (2013) 2,
http://www.pinxit.com/page101/page115/downloads-23/files/Arab_Spring_Causes.pdf; George Lawson, Revolution, Non-Violence, and the Arab Uprisings, Mobilization: An International Quarterly (2015) 4, 453‑470, http://eprints.lse.ac.uk/63156/1/Lawson_Revolution%2C%20non-violence.pdf.