Mythos #09: Im Internet ist alles gratis.
Kurt M. Saunders

Mythos: Wenn etwas im Internet ist, muss es kostenlos und gemeinfrei sein. Viele Nutzer*innen glauben fälschlicherweise, dass Onlinemedien und ‑inhalte nicht urheberrechtlich geschützt sind. Andere wiederum sind unbedacht dieser Ansicht, sodass sie Inhalte kopieren, teilen oder ändern, ohne vorher zu bedenken, dass sie hierfür möglicherweise die Genehmigung der Urheberrechtsinhaber*innen benötigen.

 

Stimmt’s? Die Annahme, dass im Internet gefundene Inhalte frei oder nicht urheberrechtlich geschützt sind, beruht auf zwei miteinander zusammenhängenden Aspekten. Erstens einem technologischen: Das Internet reduziert die effektiven Kosten für das Kopieren erheblich und bietet eine einfache und billige Möglichkeit, auf Inhalte zuzugreifen, sie zu reproduzieren, zu übertragen und zu manipulieren. Nutzer*innen können Kopien in beliebiger Menge erstellen und sofort an zahlreiche Empfänger weltweit übertragen. Der zweite Aspekt ist philosophischer Natur und wird treffend wie folgt formuliert: „Information will frei sein.“ (# 48) Dieser Satz wird Stewart Brand auf der ersten Hackerkonferenz 1984 zugeschrieben und wurde zum Schlachtruf der Cyberpunkbewegung (Whole Earth Review (1985), 49). Kurz gesagt ist er Ausdruck der Überzeugung, dass urheberrechtliche und andere Schutzvorschriften nicht auf Internetinhalte anwendbar sind. 1996 bekräftigte John Perry Barlow, ein früher Internetpionier und Mitbegründer der Electronic Frontier Foundation, dies mit den folgenden Worten in seiner „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“ mit Blick auf die Staaten: „Eure Rechtsvorstellungen von Eigentum, Redefreiheit, Persönlichkeit, Freizügigkeit und Kontext treffen auf uns nicht zu. Sie alle basieren auf der Gegenständlichkeit der materiellen Welt. Es gibt im Cyberspace keine Materie.“

Wie bei jeder anderen persönlichen geistigen Schöpfung sind die meisten im Internet zu findenden Inhalte jedoch urheberrechtlich geschützt. Hierzu gehören Software, Bilder, Texte, Videos, Musik, Charts, Diagramme sowie Beiträge in sozialen Medien und Blogs. Nichts davon ist automatisch gemeinfrei, nur, weil es online veröffentlicht oder angezeigt wird. Der Urheberrechtsschutz erstreckt sich auf Veröffentlichungen einschließlich Computerprogramme, nicht aber auf Ideen, Verfahren, Betriebsweisen oder mathematische Konzepte.

Nach dem für alle Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation verbindlichen Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) ist die Mindestschutzdauer gleich der Lebensdauer der Urheber*innem plus mindestens 50 Jahre, wobei einige Mitglieder, darunter die Vereinigten Staaten von Amerika und die Länder der Europäischen Union, die Schutzdauer auf 70 Jahre nach dem Tod der Urheber*innen verlängern. Wenn der Urheberrechtsschutz endet, wird das Werk gemeinfrei und mithin für alle Menschen frei nutzbar. Alternativ entscheiden sich einige Autor*innen dafür, ihre Arbeiten der Öffentlichkeit zu stiften, und verzichten damit auf alle Ansprüche auf Lizenzgebühren, wenn andere das Werk nutzen. Es existieren diverse gemeinschaftsbasierte Modelle, bei denen die Urheber*innen auf bestimmte Rechte verzichten oder ihre Inhalte mit nur geringen oder keinen Einschränkungen lizenzieren, wie etwa die Creative-Commons-Initiative oder die FOSS-Bewegung (Free and Open Source) für Software.

 

Stimmt also nicht! Die meisten Inhalte im Internet sind urheberrechtlich geschützt und weder gemeinfrei, noch können sie ohne Genehmigung des Urheberrechtsinhabers frei genutzt, kopiert, geändert oder öffentlich angezeigt, aufgeführt oder verteilt werden. Nur wenn die Urheber*innnen das Werk der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, sind die Inhalte frei und ohne Urheberrechtsverstoß nutzbar.

 


Quelle: Understanding Copyright and Related Rights, World Intellectual Property Organization (2016), https://www.wipo.int/edocs/pubdocs/en/wipo_pub_909_2016.pdf; Kurt M. Saunders, Intellectual Property Law: Legal Aspects of Innovation and Competition (St. Paul, MN: West Academic, 2016).