Mythos #30: Kampagnen für digitale Rechte werden von Bots und nicht von realen Aktivisten durchgeführt.
Alek Tarkowski

Mythos: Wie viele andere Kampagnen zu digitalen Rechten waren auch die Proteste der Jahre 2018/2019 gegen die EU-Urheberrechtsrichtlinie kein Ausdruck einer massiven Sorge der Bevölkerung um digitale Rechte. Vielmehr war die Protestkampagne, die größte ihrer Art in den letzten Jahren, ein Paradebeispiel für Desinformation und einen „gefälschten Graswurzelprotest“ einer kleinen Gruppe von Menschen, die ihre Zahl mithilfe von Bots vervielfacht hatten.

 

Stimmt’s? Der Gedanke, dass Bots und nicht Menschen für viele digitale Kampagnen für digitale Rechte verantwortlich sind, und insbesondere die Massenproteste gegen die EU-Urheberrechtsrichtlinie, stammt von einer Gruppe von Künstlerrechtsaktivisten und Lobbyisten. Der Vorwurf wurde ohne jeden Nachweis tatsächlicher massenhafter Bot-Aktivitäten erhoben.

In einem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Thema Kampagnen in „Zeiten der Bots“ schrieb der Autor, dass die 6 Millionen Anrufe und E‑Mails an die Mitglieder des Europäischen Parlaments weitgehend automatisiert gewesen seien. Die Argumentation, dass die Kampagnen für digitale Rechte von Bots betrieben würden, verwechselt jedoch oftmals Automatisierung, die massenhafte Onlineproteste ermöglicht, mit dem Einsatz von „Bots“, d. h. gefälschten Konten.

Zutreffend ist, dass für die Onlinekampagne „SaveYourInternet.eu“ (und weitere während des politischen Prozesses der EU-Urheberrechtsrichtlinie) eingesetzte Systeme Kampagnenelemente automatisieren. Ein Besucher der Kampagnen-Website kann beispielsweise einfach und kostenlos die Büros mehrerer Politiker*innen anrufen oder die Kampagne mühelos über soziale Medien mit automatisch generierten Nachrichten und Grafiken unterstützen. Diese Automatisierung ermöglicht Skalen‑ und Netzwerkeffekte und damit ein exponentielles Wachstum der Kampagne. Menschliche Nutzer*innen sind jedoch nach wie vor nötig, um den Anruf zu tätigen, eine E‑Mail zu versenden oder über soziale Medien Informationen zu teilen. Kritiker der Kampagne sind den Beweis schuldig geblieben, dass unter den Millionen von Unterstützern der Kampagnen gefälschte Konten, d. h. Bots, waren.

Die Vorwürfe trafen bei einigen Politiker*innen in Brüssel auf offene Ohren. So beklagten sich einige Abgeordnete, dass ihre Postfächer mit kopierten Nachrichten überschwemmt wurden. Da es keine Werkzeuge für die Analyse einer derartigen Massenkommunikation mit den jeweiligen Wähler*innen gibt, haben einige Angeordnete diese E‑Mails offenbar als Spam behandelt. Aus diesem Grund war der negative Pressetenor auch so erfolgreich und schürte ein Gefühl der Abgehobenheit von Politiker*innen gegenüber den Wähler*innen in einem System, das keine sinnvollen Möglichkeiten des Austauschs zwischen beiden Gruppen bietet. Hierbei übersahen die Politiker*innen eine einfachere Erklärung: Mithilfe digitaler Kommunikations-Tools mögliche Netzwerkeffekte (# 41) erzielen eine Mobilisierung von Millionen von Bürger*innen zu relativ geringen Kosten. Seitens der europäischen Bürger*innen besteht ein starkes Bewusstsein um die Freiheit des Internets, und sie sind durchaus bereit, gegen Gesetze zu protestieren, die sie als Bedrohung dieser Freiheiten betrachten. 

Darüber unterließen es die Vertreter der Rechteinhaber, zu erwähnen, dass sie dieselben Kampagneninstrumente einsetzten. Wie das Corporate Europe Observatory feststellt, bestand das eigentliche Problem in der Besetzung der öffentlichen Diskussion durch Wirtschaftslobbys, die Technologieriesen, Verlage und Verwertungsgesellschaften vertreten. 

 

Stimmt also nicht! Zwar wurden durchaus automatisierte Kampagnenwerkzeuge eingesetzt, um Skalen‑ und Netzwerkeffekte zu ermöglichen, jedoch wurden Kampagnen für digitale Rechte wie beispielsweise die Proteste gegen die EU-Urheberrechtsrichtlinie im Jahr 2018 nicht von Bots, sondern von Millionen von Bürger*innen in Sorge um die Freiheit des Internets unterstützt. Es waren Menschen, die anriefen, E‑Mails versandten, Informationen über soziale Medien teilten und mit dem Schlachtruf „Wir sind keine Bots“ auf der Straße protestierten.

 


Quelle: Corporate Europe Observatory (2018),  soziale Medien teilten und mit dem Schlachtruf „Wir sind keine Bots“ auf der Straße protestierten. en teilteinie im Jahr 2018 nichight-directive-how-competing-big-business-lobbies-drowned-out-critical-voices;

European Digital Rights (2018), Save Your Internet, https://saveyourInternet.eu.