Mythos #19: Suchmaschinen liefern objektive Ergebnisse.
Astrid Mager

Mythos: Suchmaschinen liefern objektive Suchergebnisse – so der Gründungsmythos der führenden Suchmaschine in der westlichen Welt: Google. Zwanzig Jahre später lebt dieser Gründungsmythos noch immer in der Unternehmensphilosophie von Google fort. Wichtiger jedoch ist, dass es die Menschen tatsächlich auch glauben. Ohne zu wissen, wie die Suchmaschine wirklich funktioniert, sagen viele Nutzer*innen, dass es die besten Websites an erster Stelle liefert.

 

Stimmt’s? Als Sergey Brin und Larry Page im Jahr 1998 Google gründeten, beschrieben sie das zentrale Ziel ihrer Suchmaschine wie folgt: „Das Hauptziel ist es, hochwertige Suchergebnisse über das schnell wachsende World Wide Web zu liefern.“ (Brin und Page 1998: 115). Dementsprechend erscheinen die Begriffe „Qualität“ und „Suchqualität“ über 30 Mal in ihrer Forschungsarbeit. Als ihren größten Wettbewerbsvorteil beschreiben die Autor*innen den PageRank-Algorithmus, bei dem die Qualität und damit das Ranking einer Website ursprünglich anhand der Anzahl und Qualität der Hyperlinks, die eine Website erhält, sowie ihres Ankertexts und ihrer Nachbarschaft bewertet wurden. Sie beschreiben den Algorithmus als „objektive Messung“, die der „subjektiven menschlichen Vorstellung von Bedeutung“ entspricht (Brin und Page 1998: 109). Interessanterweise scheint dies tatsächlich der Fall zu sein. Im Rahmen meines Promotionsvorhabens stellte ich Proband*innen die Frage, warum sie Google für die Suche nach Gesundheitsinformationen im Netz einsetzten, und erhielt in der Mehrzahl der Fälle die Antwort, dass Google die besten Suchergebnisse liefere, was impliziert, dass die Suchmaschine als Werkzeug zur Qualitätssicherung verstanden wird. Ohne zu wissen – geschweige denn, darüber nachzudenken –, wie die Suchmaschine tatsächlich funktioniert, wurde der Gründungsmythos von Google von den Menschen kritiklos übernommen.

Er ist jedoch ein Mythos. Suchmaschinen sind keine neutralen, objektiven Technologien, sondern eng mit gesellschaftlichen Normen, Werten und Ideologien und insbesondere mit der des Kapitalismus verflochten. Im Lauf der letzten Jahrzehnte wurde Googles „techno-fundamentalistische“ Ideologie des neutralen Rankings an nichtobjektive Prinzipien angepasst und von diesen bestimmt. Schon kurz nach der erfolgreichen Markteinführung von Google begannen Medienforscher*innen, den Mythos der Objektivität zu demontieren. Zuerst stellten sie den PageRank-Algorithmus in Frage, indem sie argumentierten, dass er das demokratische Ideal des Internets bedrohe (# 28), da er systematisch große, gut vernetzte und oftmals kommerzielle Websites zum Nachteil kleinerer bevorzuge. Später hinterfragte man auch die auf gezielter Werbung basierenden Geschäftsmodelle von Suchmaschinen sowie die Kommerzialisierung von Suchmaschinenergebnissen und die sich daraus ergebenden Datenschutzprobleme. Ein wesentlicher Kritikpunkt in dieser Arbeit betrifft das von Google und anderen Suchmaschinen wie beispielsweise Bing durchgeführte „Verbraucher-Profiling“, mit dessen Hilfe Suchmaschinen Anzeigen an die individuellen Interessen der Nutzer*innen anpassen können (# 21; # 22).

Aufgrund der wachsenden Menge an von diesen Unternehmen gesammelten Nutzerdaten änderten sich auch der Suchalgorithmus und die „organischen“ Suchergebnisse. Neben Hyperlinks wurden noch weitere Faktoren in die Messung der Qualität einer Website einbezogen, darunter insbesondere Nutzerprofile und Klickverhalten, aber auch die Struktur einer Website, deren Aktualität sowie die Anzahl der Keywords und Inhalte. Dementsprechend kritisierten Medienforscher*innen, zunehmend aber auch Journalist*innen, die verstärkte Personalisierung von Suchmaschinenergebnissen, mangelnde Objektivität von Suchmaschinen sowie Diskriminierung. Man sieht, dass Suchalgorithmen eng mit den Geschäftsmodellen der Anbieter von Suchmaschinen verknüpft sind. Die kapitalistische Ideologie ist Teil der DNA von Suchmaschinen und „handelt durch algorithmische Logik und Computersysteme“ (Mager 2014: 32).

 

Stimmt also nicht! Man muss sich vor Augen führen, dass Suchmaschinen und ihre Algorithmen keine neutralen Technologien sind, sondern vielmehr gesellschaftliche Werte und Ideologien und hier insbesondere die des Kapitalismus verinnerlichen. Nur dann können wir zeitgemäße Governance-Modelle entwickeln, die lokale Vorschriften und die Menschenrechte respektieren (insbesondere in Europa, wo der Datenschutz als Menschenrecht verankert ist).

 


Quelle: Sergey Brin und Lawrence Page, The anatomy of a large-scale hypertextual Web search engine, Computer Networks and ISDN Systems 30: 107‑117 (1998); Astrid Mager, Defining Algorithmic Ideology: Using Ideology Critique to Scrutinize Corporate Search Engines, tripleC 12(1): 28‑39 (2014).